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Achtung Ruderboote
 

Warum die Praxis so ist, wie sie derzeit ist.

"Unsere Boote entsprechen doch den geltenden Sicherheitsnormen!"
Die Gegenfrage wäre: "Welchen?"
 

TÜV: keine nachweisbaren Mängel, von Burkhard Mohr
 

Wie man hier sehen wird, sind die typischerweise verwendeten (also die C-, E-, D-, B- und A-) Gigboote jeweils ausdrücklich ausgenommen, so dass es m.W. keine verbindlichen Standards bezüglich Steuerbarkeit, Wellenschutz, Notschwimmeigenschaften oder auch der Wartung dieser Boote gibt.

Es bleiben die Empfehlungen von FISA und DRV - diesen entsprechen die derzeit in Deutschland anzutreffenden Gigboote aber in den allermeisten Fällen nicht.

(mit freundlicher Genehmigung von Bulls Press / © Ruthe)
 
 
Zerstörter fester Auftriebskörper, Bild 1 von 4
Ein praktisches Beispiel (Näheres: s.u.):
Dieser C-Vierer mit Steuermann wurde 2010 oder 2011 gebaut - und im Verein dann etwas "umgerüstet"...


1.
Nach § 4 des Gesetzes darf ein Produkt nur in den Verkehr gebracht werden, wenn es so beschaffen ist, dass bei bestimmungsgemäßer Verwendung oder vorhersehbarer Fehlanwendung Sicherheit und Gesundheit von Verwendern oder Dritten nicht gefährdet werden.

Neben der Produktsicherheit regelt das GPSG mit besonderen Verordnungen auch das Inverkehrbringen verschiedener Waren, die besondere Sicherheitseigenschaften erfüllen und damit das CE-Zeichen tragen müssen - u.a. für Sportboote.

Im Rahmen des GPSG ist die europäische Richtlinie über Sportboote 94/25/EWG in nationales Recht umgesetzt worden, in die Zehnte Verordnung zum Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (Verordnung über das Inverkehrbringen von und Verkehr mit Sportbooten) (10. GPSGV).

2.
In der Europäischen Richtlinie über Sportboote 94/25/EWG heißt es jedoch in Artikel 1 "Scope an d definitions", Absatz 2:
"The following shall be excluded from the scope of this Directive: (...)
(i) craft intended solely for racing, including rowing racing boats and training rowing boats, labelled as suchby the manufacturer; (...)"

3.
In der deutschen Verordnung über das Inverkehrbringen von und Verkehr mit Sportbooten (10. GPSGV) findet sich dies entsprechend wieder:
"§ 1 Anwendungsbereich (...)
(7) Diese Verordnung gilt nicht für
1. ausschließlich für Rennen bestimmte und vom Hersteller entsprechend
gekennzeichnete Wasserfahrzeuge, einschließlich Rennruderboote und
Trainingsruderboote, (...)"

4.
Der Sinn der Verordnung wird in der Praxis dadurch umgangen, dass auch die typischen Wanderruderboote wie z.B. E-Gigs von den Herstellern so gekennzeichnet werden, als ob es sich ausschließlich für Rennen - oder ausschließlich für das Training für Rennen - bestimmte Boote handele. Dabei fahren in C- und v.a. E-Gigs ganz überwiegend Wanderruderer zu Erholungszwecken, die nicht für Rennen trainieren.

5.
So kommt es, das ein kleines, preiswertes Ruderbötchen für Angler (z.B. das Ruderboot "Anka" des Herstellers Wieker Boote, das für ca. 1500 bis 1600 € verkauft wird, wiekerboote.de), bei den Händlern im Internet so beworben wird:

"Stabilität und Freibord, Auftrieb und- Schwimmfähigkeit getestet nach DIN ISO 12217-3. Das Boot ist CE-Zertifiziert inkl. Benutzerhandbuch!"

Für ein vielfach teureres Wanderruderboot, das im Ganzjahresbetrieb jährlich tausende von Kilometern auf großen Bundeswasserstraßen fährt, einschließlich wellen- und strömungsreicher Rheinstrecken mit Loreley und Andernacher Loch, gibt es dagegen keine Vorgaben bezüglich ergonomischer und wirksamer Steuerbarkeit, Wellenschutz und Notschwimmeigenschaften.


Diese Norm legt Verfahren für die Beurteilung von Querstabilität und Auftrieb des intakten (d. h. unverletzten) Bootes fest. Darin sind ebenfalls die Auftriebseigenschaften solcher Boote erfasst, die empfindlich
gegen Vollschlagen sind.

Kanus, Kajaks oder sonstige Boote mit einer Breite von weniger als 1,1 m sind hier jedoch ausgenommen - dem Wanderruderer ist also nicht geholfen.


"§ 1.08 Bau, Ausrüstung und Besatzung der Fahrzeuge

1. Fahrzeuge müssen so gebaut und ausgerüstet sein, daß die Sicherheit der an Bord befindlichen Personen und der Schiffahrt gewährleistet ist und die Verpflichtungen aus dieser Verordnung erfüllt werden können."

Nun, anscheinend ist so alles in bester Ordnung. Boote, bei denen zwei hohe Schiffwellen genügen, um sie vollschlagen zu lassen, manövrierunfähig zu machen und die Mannschaft bis zum Hals im (kalten) Wasser versinken zu lassen, dürfte es eigentlich nicht geben. Leider hat es aber genau aus diesem Grund bereits mehrere Todesfälle gegeben.

Hier wirkt sich Absatz 3 des § 1.08 aus:

"3. Diese Voraussetzungen gelten als erfüllt, wenn das Fahrzeug mit einem Schiffsattest nach der Rheinschiffsuntersuchungsordnung versehen ist, Bau und Ausrüstung des Fahrzeugs den Angaben des Attestes entsprechen und Besatzung und Betrieb mit den Vorschriften der Rheinschiffsuntersuchungsordnung übereinstimmen."

Ein Schiffsattest ist aber nur für Fahrzeuge von über 20 m Länge des Schiffskörpers (ohne Ruder und Bugspriet) erforderlich, auch für Sportfahrzeuge. Ein Achter liegt mit 18 m nur knapp darunter.

Hier kommen daher die Sportverbände zum Tragen.


Die folgende Tabelle beleuchtet die Verhältnisse in Deutschland und Großbritannien.

Zu beobachten:Großbritannien (ARA)Deutschland (DRV)

Sehr gute Notschwimmeigenschaften sämtlicher neuer Boote werden dringend empfohlen - der Hersteller soll sein Boot mit einer Plakette kennzeichnen, auf der nachzulesen ist, welches Mannschaftsdurchschnittsgewicht das Boot komplett vollgeschlagen noch so trägt, dass es ruderbar bleibt.
Ja.Nein.

Die Vereine unterliegen einer regelmäßigen Qualitätskontrolle durch den Verband; es erfolgt ein jährlicher, schriftlicher Sicherheitsaudit. Für den Verein ist der jeweilige regionale Beauftragte der ARA zuständig; im Verein gibt es Ansprechpartner zum Thema.
Ja.
Ausführliche Infos dazu auf der Website der ARA.
Nein.

Ausführliche, praxisnahe, leicht aufzufindende Infos zum Thema Sicherheit auf der Verbandsseite.
Ja.Einige PDF-Dokumente auf rudern.de --> "Rudern" --> "Sicherheit".
Fällt im Vergleich z.B. zu ARA und USRowing stark ab.


Der DRV schreibt - leider vergleichsweise versteckt auf rudern.de --> Link "Sportart" --> Link "Sicherheit" --> Link "Empfehlungen des DRV bei Bootsbestellungen":
- "(...) Um den Bootswarten und Vereinsvorständen die Neuanschaffung von Booten - insbesondere Gigs - zu erleichtern, haben der Arbeitskreis Gig und Technik und der Technische Ausschuss im DRV folgende „Technische Empfehlungen“ entwickelt, die unbedingt beachtet werden sollten: (...)
1.4. Der Bootskörper muss in allen Teilen unsinkbar sein.
1.5. Das Boot sollte nach dem Vollschlagen mit Wasser noch soviel Auftrieb haben,
dass bei insitzender Mannschaft in Ruderposition die Rollsitze maximal 5 cm unter
der Wasserlinie liegen (FISA-Empfehlung) und so noch eine eingeschränkte
Fortbewegungsmöglichkeit besteht. (...)"
- "(...) Nach den FISA-Empfehlungen ist aus Sicherheitsgründen beim Rudern im
Winter zu fordern, das der Auftrieb eines Bootes nach dem Vollschlagen mit Wasser
mit insitzender Mannschaft noch so groß ist, dass die Mannschaft sich eingeschränkt fortbewegen kann und nicht mit dem Boot versinkt! Nähere Angaben zum Umrüsten der Boote sind im Handbuch für Ruderanlagen, Boote und Reparaturen zu finden. (...)"


Während in Großbritannien die ARA Wert auf die Einhaltung hoher Standards auf Vereinsebene legt, agieren die Rudervereine in Deutschland sehr eigenständig - und völlig unterschiedlich.

Unter ähnlichen Gewässerbedingungen findet der Rudernde damit grundverschiedene Standards vor:

Fußsteuer:
- Ein Teil der Fußsteuer gerade bei großen Booten ist kaum wirksam, nur ein Teil wirkt befriedigend. Dieser Anteil unterscheidet sich von Verein zu Verein deutlich.
- Es kann sein, dass extrem schwergängige oder auch defekte Steuer, die in zufälliger Stellung blockieren (Kettchen verhakt sich, etc.) oder deren Kettchen sich bei Vollauschlag des öfteren aushängen, so jahrelang in Betrieb bleiben.
- Steuerlatschen werden mit nur einem Fußriemen ausgestattet neu beschafft, trotz schlechter Ergonomie v.a. für kleine Füße. Selbst wenn so ein einzelner Fußriemen so verschlissen war, dass er in einer kritischen Situation gerissen ist, wird er durch einen einzelnen neuen Riemen ersetzt, statt durch zwei, wie es Standard sein sollte.
- Wirklich gute Fußsteuer, mit denen sich ein Fünfer ohne großen Kraftaufwand bestens steuern lässt, sind Raritäten.

Wellenschutz:
Je nach Verein befährt man den Rhein mit gutem Wellenschutz, oder er wird nicht zur Verfügung gestellt.
Die folgenden Beispiele gelten für sehr ähnliche Ruderreviere und teils für die gleiche Strecke:
- Es kann sein, dass für nahezu alle Boote Abdeckungen zur Verfügung stehen und im Alltag auch benutzt werden (Zitat eines Ruderwarts: "Fahren ohne Abdeckung ist die Lizenz zum Baden").
- Der nächste Verein stellt sie nur für C-, nicht aber für E-Boote zur Verfügung, auch nicht im Winter auf der Strecke von Bingen abwärts. Trockener Humor eines Mitglieds: "Abdeckungen behindern beim Schöpfen."
- Wieder der nächste Verein fährt nicht selten auch große C-Boote (Vierer ohne / mit Steuermann bzw. Fünfer) ohne Abdeckungen - selbst im Winter und bei Wassertemperaturen im einstelligen Bereich.

Notschwimmeigenschaften:
- Neue Gig-Boote mit vernünftigen Notschwimmeigenschaften werden derzeit selbst dann nicht beschafft, wenn dieses Ausstattungsmerkmal von der Bootswerft angeboten wird.
- Die Nachrüstung vorhandener Boote mit leistungsfähigen, leichten Auftriebskörpern wird nicht angegangen.

Rettungswesten:
- Mir ist ein Verein bekannt, der großen Wert hierauf legt und stolz auf den sehr hohen Anteil der Rudernden ist, die Rettungswesten tragen.
- In den meisten Vereinen spielen sie jedoch höchstens eine punktuelle oder gar keine Rolle.
(Anmerkung: Ich halte gute Notschwimmeigenschaften der Boote für essentiell, was natürlich kein Abraten von Rettungswesten darstellen soll: ich trage sie mindestens im Winterhalbjahr und andere auf meine Empfehlung hin auch. Bei einer Kollision z.B. können sie lebensrettend sein.)


Da verbindliche Vorgaben und Standards weitgehend fehlen, wird vor Ort entschieden, was sinnvoll ist.

Die Unterschiede von Verein zu Verein sind groß; oftmals für ein und die gleiche Strecke.

Guter Wellenschutz und Boote mit guten Notschwimmeigenschaften werden oft nicht zur Verfügung gestellt, auch nicht für schwierige Strecken im Winterhalbjahr.

Weniger lustig ist dies, wenn es auf einer solchen Strecke schon zahlreiche Absüffe gegeben hat, bei denen manche Rudernde sehr viel Glück gehabt haben.
Andere haben dies nicht überlebt.


Dieser C-Gig-Vierer mit Steuermann wurde 2010 oder 2011 mit großen, fest eingebauten Auftriebskörpern unter den Rollbahnen fertiggestellt - leider ohne Ausgleichsröhren zwischen den offenen Stemmbretträumen. D.h., schlägt eine Welle z.B. in Höhe von Platz 2 ins Boot, bleibt das Wasser dort stehen und verteilt sich nicht gleichmäßig.

Sind Lenzklappen eingebaut - oder wird bei Langstrecken-Regatten durch wellige Gewässer eine (meist elektrische, doppelte) Pumpe benutzt, sind diese am tiefsten Punkt des Bootes eingesetzt. Sie können dann also - bei fehlenden Ausgleichröhren - nur noch den gemeinsamen Fußraum von Schlagmann und Steuermann lenzen.

Ohne großzügig dimensionierte Ausgleichsmöglichkeiten zwischen den Stemmbretträumen kann das Boot bei einer Langstreckenregatta de facto nicht zeitsparend und vollständig von eingedrungenem Wasser befreit werden, und auch im allgemeinen Ruderbetrieb wäre dies mittels Schöpfgefäß(en) sehr umständlich. Die im Boot verbleibende Restwassermenge wäre so nach meinen Erfahrungen ebenfalls höher.

Also wurden die Schotten zu allen vier unter den Rollbahnen sitzenden Auftriebskörpern einfach herausgebrochen; die (mit Deckeln verschlossenen) Wartungsluken führen nun ins Freie:

Zerstörter fester Auftriebskörper, Bild 2 von 4
Zerstörtes Schott zum Auftriebskörper, Detail
 
Zerstörter fester Auftriebskörper, Bild 3 von 4
Einer der zerstörten Auftriebskörper unter den Rollbahnen, Ansicht von hinten.
 
Zerstörter fester Auftriebskörper, Bild 4 von 4
Einer der zerstörten Auftriebskörper unter den Rollbahnen, Ansicht von vorne
 

Hier zeigt sich m.E. deutlich, welche Rolle die Empfehlungen des DRV bei Bootsbestellungen in der Praxis auch 2011 noch spielen - so gut wie keine.
Sie waren 2006 herausgekommen.

Niemand hindert Bootswerften am Weglassen eines wichtigen Konstruktionsdetails - und niemand verhindert das Zerstören eines möglicherweise lebensrettenden Sicherheitsmerkmales.

 
 
Abschließend zum Vergleich die korrekte und intakte Ausführung mit Ausgleichsröhre von der niederländischen Roeiwerf Wiersma (für diese Röhre würde ich einen mindestens 50% größeren Durchmesser empfehlen, und, falls möglich, zwei Stück davon: vgl. hier, Abschnitt 3).
Der Wartungsdeckel zwischen den Rollschienen hat sinnvollerweise den größtmöglichen Durchmesser. Das Bild stammt wie die anderen dieses Abschnitts aus 2011:

Intakter fester Auftriebskörper, mit Ausgleichsrohr


Bugleinen-Beschlag (Bild 1 von 2)
Dieser schmucke Bugleinen-Beschlag an einem C-Vierer ohne Steuermann verhindert...
 
Bugleinen-Beschlag (Bild 2 von 2)
...wirkungsvoll das Aufschieben einer der vor Ort vorhandenen Standard-Bugabdeckungen (die ansonsten gut passen würden). Für ein ganzjährig auf dem Rhein gefahrenes C-Boot ist der Wellenschutz damit m.E. unzureichend.
 


Steuerlatschen mit Blockade-Neigung (Bild 1 von 2)
Diese Fußsteuer-Feststellbolzen, die den Steuerlatschen für Handsteuerung fixieren, verdrehen sich gerne selbstständig...
 
Steuerlatschen mit Blockade-Neigung (Bild 2 von 2)
...bis sie mit Federkraft - irgendwann während der Fahrt - einrasten und damit das Steuer in eine Richtung blockieren.
Gezeigt ist die Position der Federkappe kurz vor dem Einrasten; außerdem sind die viel zu langen Kettenglieder zu sehen; die eine präzise Einstellung des Fußsteuers verhindern.
 


Wenn man die obigen Bilder - und weitere Beispiele im Bereich von 2. Leistungsfähige Boote - betrachtet, liegt der Schluss nahe, dass auch das Produkthaftungsgesetz (dejure.org/) den Bootsbesatzungen nicht den Schutz bietet, der von der Material- und Ausrüstungsseite her wünschenswert wäre.

 
Zuletzt aktualisiert am 20.06.2012.